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Ein Gespräch zum Antisemitismus in der zeitgenössischen Kunst. Von Thomas Edlinger
wina: Gibt es Antisemitismus im Kunstfeld?
❙ Georg Schöllhammer (S): Er zeigt sich heute öfter als früher. Und zwar parallel zur Islamophobie und kurioserweise dort, wo man Antisemitismus nicht vermutet hätte, nämlich in linksliberalen Zusammenhängen in Europa.
Welche Beispiele fallen Ihnen ein?
❙ S: In Russland sind es Ressentiments der Intellektuellen gegen die eigene Geschichte, die, was die Gegenwartskunst betrifft, seit den 1960er-Jahren sehr stark jüdisch geprägt ist. Sie kommen von Leuten wie dem Schriftseller Eduard Liminov, der als ehemaliger Dissident die nationalbolschewikische Partei gegründet hat. Und es passiert natürlich dort, wo die Dialogprojekte zwischen arabischen bzw. palästinensischen und israelisch-jüdischen Künstlern schiefgehen.
❙ Luisa Ziaja (Z): Der neue Antisemitismus kommt ja seit den 1960ern aus den linken Milieus. Den alten haben wir noch als rechts, nationalistisch und rassistisch abgespeichert.
Wichtig ist, die Begriffe und Phänomene Antisemitismus und Antizionismus zu differenzieren. Spätestens seit den Nullerjahren lässt sich aber gerade in kritischen Ausstellungen wie etwa bei der documenta oder auf diversen Biennalen eine Zunahme jener Tendenzen feststellen, die die Unterschiede zwischen Antisemitismus und Antizionismus ins Fließen bringen.
Oliver Marchart hat das anhand der documenta 12 gezeigt. Die wohl bekannteste Arbeit The Zoo Story von Peter Friedl, eine ausgestopfte Giraffe, kann hier als paradigmatisch verstanden werden. Die Giraffe hatte in einem palästinensischen Zoo gelebt und ist bei einem Angriff der israelischen Armee in Panik geraten und durch einen Sturz gestorben. Sie wurde quasi zum Medienstar der documenta 12 und war auf den wichtigsten deutschsprachigen Titelblättern zu sehen. Ausgerechnet unter einem deutschen Kuratorenpaar in Deutschland wurde mit dieser Installation eine Art Täter-Opfer-Umkehr nahegelegt: Schaut her, die Israelis sind ja auch nicht besser als die Nazis.
Wie lässt sich denn Antisemitismus in der Kunst überhaupt nachweisen?
❙ Eduard Freudmann (F): Es gibt den Drei-D-Test von Natan Sharansky. Der versucht festzumachen, wann Antizionismus in Antisemitismus umschlägt. Die drei Ds heißen: Dämonisierung, doppelte Standards und Delegitimierung. Dieser Test funktioniert aber häufig nicht.
Diesen Sommer fand in Ottawa eine Ausstellung der palästinensischstämmigen Kanadierin Rehab Nazzal statt. Darin kam auch eine Videoslideshow vor, die „Targets“ heißt und laut dem Pressetext ermordeten palästinensischen Künstlern, Aktivisten, Schreibern und Führern gedenkt. Der israelische Botschafter erkannte darin aber auch die Attentäter von München 1972 und überhaupt eine Glorifizierung des Terrorismus. Die Ausstellung wurde zum Skandal, die palästinensische Vertretung in Kanada unterstellte Zensurversuche durch Israel. Haben wir es da mit Antisemitismus zu tun?
❙ F: Ich sehe das nicht als antisemitisch, sondern empfinde die Arbeit als problematisch.
❙ S: Die gerade zu Ende gegangene São-Paulo-Biennale scheiterte beinahe, als eine Gruppe junger palästinensischer Künstler mit dem Boykott der Biennale gedroht hat, weil Reisekosten in der Höhe von 30.000 € vom Staat Israel der Biennale zur Verfügung gestellt wurden. Das Ganze wurde eine riesige Debatte. In solchen Fällen wird der Staat mit der Regierung kurzgeschlossen. Sogar die israelische Co-Kuratorin Galit Eilat hat sich letztlich der Boykottdrohung in dem offenen Brief angeschlossen. Die teilweise sehr differenzierte Position der israelischen Künstler stand gar nicht mehr zur Debatte. Es ging nur mehr um das Geld.
❙ Z: Beziehungsweise um das Logo Israels auf dem Plakat.
❙ F: Galit Eilat hat damit den Staat Israel dämonisiert. Aber ist sie deshalb eine Antisemitin? Sicher nicht! Dass Israel mit anderen Maßstäben als andere Länder gemessen wird, kann antisemitische Motive haben, muss aber nicht. Und natürlich legen auch betroffene Palästinenser andere Maßstäbe an.
❙ S: Man muss aber schon sagen, dass es auch abseits vom Staat Israel einen globalen Antisemitismus in der Gegenwartskunst gibt, der auch die Diaspora betrifft. Der verbirgt sich gern hinter der Kapitalismuskritik. Der Slogan „Boycott Wall Street“ spielt zum Beispiel bewusst auf das angeblich jüdische Kapital an.
❙ Z: Das hat seit dem Gazakonflikt in den sozialen Medien eine neue Dimension erreicht. Ich bin auf Facebook mit Menschen aus dem Kunstfeld befreundet. Die Schwarzweißmalerei und auch der Eifer, mit denen man da konfrontiert wird, haben mich tief schockiert. Es scheint sehr einfach zu sein, auf der „richtigen“ Seite zu stehen, und diese Position ist tatsächlich auch hegemonial, besonders in einem linken politisierten Segment des Kunstfelds.
❙ S: Das Schlimme sind die Solidarisierungsgesten und der Diskursprofit, die daraus gezogen werden.
❙ F: Da herrscht ein extrem dichotomes Weltbild. Du bist entweder da oder da.
❙ S: Genau!
❙ F: Du musst dich für eine Seite entscheiden.
❙ S: Das hat man von mir bei meiner Arbeit für die documenta auch immer verlangt. Ich konnte und wollte das aber nicht.
Boykott-Aufrufe gegen Israel wie etwa vom BDS Movement sind gang und gäbe. Aber auch Begriffe wie Apartheidstaat Israel kursieren in der Kunstwelt.
❙ F: Apartheidstaat ist ein Blödsinn.
❙ S: In der westeuropäischen Szene verschwindet das Wissen über die innere Verfasstheit und die Geschichte Israels. Man will nichts wissen, sondern viktimisieren.
Es gibt in der Politik und in den Medien eine antideutsche Linke, die sehr israelsolidarisch ist. Gibt es auch in der Kunst eine solche Fraktion?
❙ F: Mir fällt keine ein.
❙ S: Es gibt einzelne Arbeiten, aber die beziehen sich dann auf ein Israel von 1964. Aber man muss sie an der Hand abzählen, so wie man die selbstkritischen Arbeiten von palästinensischen Künstlern an einer Hand abzählen kann.
Verschiebt sich im Kunstfeld die Komplexität des Nahostkonflikts zugunsten einer Täter-Opfer-Konstellation?
❙ Z: Es gibt schon Zwischentöne. Aber die sind rar.
Meine Erfahrung als Kurator war, dass man arabisch-palästinensische Künstler kaum mit jüdischen Israelis zusammenbringen kann. Man hört dann hinter vorgehaltener Hand: Wir würden eventuell mitmachen, aber in dem Zusammenhang wäre eine Kooperation Verrat.
❙ S: Das stimmt, diese Erfahrung habe ich auch in drei Projekten gemacht. Jede Haltung, die sich differenzieren will, wird als Kollaboration, als Ausblendung des eigentlichen Konflikts oder als Appeasementpolitik betrachtet. Im Rahmen einer von mir verantworteten Magazinreihe zur documenta 12 habe ich erlebt, wie sich der vorherige Wille zum Gemeinsamen nach dem Libanonkrieg 2006 schlagartig verflüchtig hat und ich von dem Künstler Tony Chakar einen Text in einer fast schützengrabenhaften Sprache der Anklage bekam. Danach war kein Dialog mehr möglich.
❙ F: Es gibt natürlich auch einen unglaublichen Druck. Sich dem nicht zu beugen, können sich nur jene leisten, die nicht von den palästinensischen Institutionen abhängig sind.
Hat die Rückkehr der Religionen zu einer Veränderung des Antisemitismus geführt? Orthodoxe träumen von Groß-Israel und finden überall heiligen Boden. Umgekehrt regiert die islamistische Hamas in Gaza.
❙ S: Kaum jemand regt sich über Rabbis auf, aber viele über den Staat Israel. Aber das jüdisch-religiöse Denken in dem Sinn ist kurioserweise nicht das Ziel des Antisemitismus.
❙ F: Vielleicht auch deshalb, weil es auch einen religiös motivierten Antizionismus gibt. Bei vielen palästinensischen Demonstrationen treten ultraorthodoxe Juden auf und solidarisieren sich mit den Palästinensern. Sie kämpfen ja auch darum, weiterhin nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden.
Je genauer man hinsieht, desto widersprüchlicher wird die Lage.
❙ Z: Wir müssen simplifizierenden Diskursen, auf die wir in Kunstarbeiten und Ausstellungen immer wieder besonders in Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt stoßen, eine Verkomplizierung entgegensetzen. Diese fordert auch unser Open Letter Challenging Double Standards – A Call against the Boycott of Israeli Art and Society.
http://cds-call.tumblr.com
ist Künstler und lebt in Wien. Seine Projekte erarbeitet er sowohl individuell als auch in (temporären) Kollektiven. Dabei verbindet er interventionistische und dokumentarische Strategien mit narrativen und fiktiven Elementen und nutzt verschiedene Formate und Medien wie Video, Installation oder Performance.
ist Gründungsredakteur von springerin – Hefte für Gegenwartskunst, freier Autor und Kurator. Von 2005 bis 2007 leitete er die documenta 12 magazines. Er arbeitete in Projekten wie der Manifesta, den Biennalen von Venedig, São Paulo, Gyumri und Kiew, den Wiener Festwochen, Sweet Sixties, Former West, L’Internationale und Sowjetmoderne. Er ist Vorstand von tranzit.at und der Július Koller Society.
ist Kunsthistorikerin und Kuratorin im 21er Haus in Wien. Sie ist im Leitungsteam des postgradualen Lehrgangs ecm – educating/curating/managing an der Universität für angewandte Kunst und Teil von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis. In ihrer kuratorischen Arbeit, theoretischen Auseinandersetzung und Lehre beschäftigen sie die Schnittstellen von zeitgenössischer Kunst, Geschichtspolitik und Gesellschaft.